Protokoll der 3. Sitzung im WS 2015/16
am 19.11.2015
Beginn: 17.20 Uhr
Ende: 18.55 Uhr
Ort: WiFa Grimmaische Sr. 12, SR 12
Protokoll: F. Fehlberg
Anwesende: Fehlberg, Frank; Goyk, Richard; Köhn, Patrick; Köster, Robert;
Melch, Simon; Müller, Karsten; Quaas, Friedrun; Quaas, Georg; Winzler, Tim
Entschuldigt: Arndt,
Christian; Gräbe, Hans-Gert; Scholz, Richard
TOP 1 –
Protokollbestätigung
Das Protokoll
der 2. Sitzung am 05.11.2015 (Diskussion EWE, Protokoll Arndt) wurde nach einer
kurzen Diskussion der Aussageauthentizität in Protokollen bestätigt.
TOP 2 – Vortrag
und Diskussion
Friedrun Quaas:
Das Piketty’sche Prisma
F. Quaas hat im
Vorfeld der Sitzung den Textentwurf einer Untersuchung der
theoriegeschichtlichen Verweise und der wirtschaftstheoretischen Verortung von
Thomas Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ zur
Kenntnis gegeben. Zunächst gibt die Autorin eine kurze Einführung in ihr
Vorhaben.
Der Arbeitstitel
„Prisma“ referiere eine Bemerkung Karl Marx‘ über das (Adam) „Smith’sche Prisma“ des vorklassischen ökonomischen Denkens.
Piketty nehme Vorleistungen der Ökonomik in sein Werk
auf und breche sie auf eine ihm eigene und womöglich neue Weise. Die Umsetzung
dieser Andeutung des Textgegenstands möchte F.Q. in drei Schritten vollziehen.
Im ersten Schritt soll eine detaillierte Auflistung von theoriegeschichtlichen
Bezügen die Grundlage der dogmenhistorischen Selbstverortung in Pikettys „Kapital“ herausarbeiten helfen. In einem zweiten
Schritt soll aus ideengeschichtlicher Perspektive die Tiefe und Ernsthaftigkeit
der Auseinandersetzung Pikettys mit seinen
historischen Protagonisten hinterfragt werden.
So nehme Piketty schon mit dem Titel seines Werkes einen sehr
starken Bezug zu Marx, ohne diese Inanspruchnahme theoretisch und in
theoriegeschichtlich ausgewogener Würdigung mit Leben füllen zu können. Marx
habe sich sehr viel systematischer mit seinen Vorgängern auseinandergesetzt als
Piketty es trotz vieler – zum Teil auch
unvollständiger – Namensnennungen vorgebe. Schließlich zeigten sich bei Piketty sogar sehr große Lücken bspw. bei der Behandlung
von David Ricardo, aber insbesondere bei Marx. Dessen klassische, nicht zuletzt
auch durch Ricardo verkörperte theoretische Grundlage, die
(Arbeits-)Werttheorie, lasse Piketty völlig außen
vor. Insofern seien ihm, der doch mit seinem dogmenhistorischen Wissen nicht
nur Eindruck machen, sondern auch theoretisch punkten wolle, eine Menge an
schweren Fehlern nachzuweisen.
In einem dritten
Schritt schließlich soll versucht werden, Piketty
einen eigenen Versuch der Theoriefindung zuzugestehen. Dazu werde die
axiomatische Struktur seiner Darlegungen herausgearbeitet und in einer
nicht-mathematischen Darstellung zugänglich gemacht. Ziel soll es sein,
womöglich so etwas wie eine „Piketty-Theorie“
offenzulegen.
Die Diskussion
leitet F.Q. mit dem Urteil ein, Pikettys Bezug zu Marx
sei so plakativ-provokant wie er inhaltlich und theoretisch flach sei. Hier
zeichnet sich im Seminar Zustimmung ab. Georg Quaas pflichtet diesem Urteil
bei. Piketty habe weder Marx noch die Klassiker und
überhaupt die Arbeitswerttheorie verstanden oder rezipiert. Dies zeige sich an
dessen pauschaler Bepreisung des unberührten
(unbearbeiteten) Bodens, was für einen Arbeitswerttheoretiker unmöglich sei (Güterwert
und damit Preise träten erst durch Erarbeitung von Gütern in die ökonomische Wirklichkeit).
Damit endet in
der Diskussion bereits der Thesenkonsens des Vorhabens von F.Q.,
als diese anhand der völligen Ignoranz Pikettys
gegenüber der klassischen Werttheorie diesen als neoklassischen
Verteilungstheoretiker kennzeichnet. Die Surplustheorie,
die Profit als Residualgröße nach dem Lohnabzug setze, interessiere gerade Piketty nicht, der immerhin die Verteilungsproblematik
wieder zu einem gewissen Stand in der Debatte der Ökonomik geführt habe. Sein
starker Bezug auf das neoklassische Modell – vor dem Hintergrund seiner
theoriegeschichtlich dünnen Verweise – lege eine Sozialisation in diesem Umfeld
nahe, er könne beinahe gar keine andere Grundlage für seine verteilungstheoretischen
Darlegungen haben als die neoklassische.
G.Q. wendet sich
vehement gegen diese einseitige Verortung Pikettys.
Zunächst sei erst einmal festzustellen, dass dieser ein Empiriker und kein
Theoretiker sei. Ihn auf der theoriegeschichtlichen Ebene anzugreifen sei ein
sehr billiges und daher überflüssiges Unterfangen und ziele nur darauf ab,
Empiriker dumm dastehen zu lassen. Piketty erhebe in
Wahrheit doch gar nicht den Anspruch des Kenners und Fortführers der
Dogmengeschichte. Marx und Piketty seien schon wegen
ihrer Methodik überhaupt nicht zu vergleichen. Piketty
arbeite im „Kapital“ empirisch-historisch, Marx in dem seinen
theoretisch-analytisch. Das Hauptverdienst Pikettys
sei doch, die bekannten „Grundgesetze“ endlich mit empirischen Daten gefüllt
und so eindrucksvolle Einsichten in die Entwicklung ermöglicht zu haben (z.B.
Kapital-Einkommens-Verhältnis).
F. Q. stimmt den
Bemerkungen über die empirischen Leistungen Pikettys
zu, entgegnet aber andererseits, wenn Piketty seine
bekannten Fachvorläufer im Vorbeigehen aburteile, dann stelle er natürlich
einen theoriegeschichtlichen und theoretischen Anspruch auf. Er behaupte
selbst, dass er einen „neuen theoretischen Rahmen“ („Kapital des 21. Jhd.“, S.
13) anstrebe, also müsse er daran und an seinen Urteilen über die Vorgänger
gemessen werden. Piketty lege seinen Darlegungen
nicht nur mathematische Axiome zugrunde, seine wirtschaftspolitischen
Empfehlungen und Befürchtungen über die zukünftige Entwicklung der
Kapitalkonzentration ließen den Schluss zu, dass er über die „Grundgesetze“ und
die Empirie hinweg sehr wohl einen theoretischen Ansatz verfolge.
Richard Goyk bemerkt über die Vergleichbarkeit von Marx und Piketty, dass bei beiden zweifellos die „soziale Frage“ im
Mittelpunkt stünde. Dass Piketty „Ausbeutung“ oder
auch die Mehrwerttheorie nicht aufgreife, zeuge womöglich nur davon, dass er im
gegebenen wissenschaftlichen Umfeld wenig Angriffsfläche bieten wolle. F.Q.
teilt diese Vermutung, Piketty immunisiere sich in
gewisser Weise mit seinem deutlichen neoklassischen Fußabdruck.
G.Q. legt Wert
auf die Tatsache, dass es im „Kapital“ keinen eindeutigen Hinweis darauf gebe,
dass Piketty die Grenzproduktivität als Grundlage
seiner Verteilungstheorie begreift. Seine Verortung in der Neoklassik könne
also nicht so gesichert sein, wie sie in der Diskussion überwiegend hingenommen
werde. Er baue zwar auf der Cobb-Douglas-Produktionsfunktion auf, leite aber
aus ihr keine notwendigen verteilungsrelevanten Schlüsse ab.
Robert Köster
gibt zu bedenken, dass Piketty mit seinen zentralen
Identitäten keine Erklärungen für die beobachteten Entwicklungen liefern könne.
Seine Arbeit sei vordergründig eine Deskription, die sich aus Zeitreihen
ergebe. Theoretische Schlüsse, die er daraus ziehe, verleihe er seiner
Deskription nur im Nachhinein, eine eigentliche Erklärung bleibe er schuldig.
Zuletzt wird
eine Debatte über die Methodik des Wissenschaftstheoretischen Strukturalismus
geführt, an den sich F.Q. bei ihrem Vorhaben anlehnen will. G.Q. lehnt die
Anwendung vor allem nach Joseph D. Sneed auf die
Ökonomik, insbesondere auf das Werk Pikettys, ab.
F.Q. führt ins Feld, sie wolle vorrangig die Konzeption Wolfgang Stegmüllers
für die Analyse nützen. Ziel sei es, die axiomatischen Strukturen bei Piketty offenzulegen, um die mögliche „Piketty-Theorie“
herauszuarbeiten. G.Q. behauptet in einer grundsätzlichen Kritik, dass weder
bei Marx noch überhaupt in der Ökonomik eine „axiomatische Struktur“
festzustellen sei. Pikettys Prisma seien seine
Formeln, mit denen er seine Daten betrachte und die genauso wie die in ihrer
Anwendung breit angelegte Cobb-Douglas-Produktionsfunktion als ein
„theoretischer Kern“, aber nicht als „axiomatische Struktur“ zu beschreiben
seien.
Ein Exkurs
darüber, was genau ein Axiom ist, bleibt ergebnisoffen. G.Q. vertritt den
mathematisch-engen Begriff für eine exakte Ökonomik, auf den die
sozialwissenschaftlichen Bezüge aufbauen können, während F.Q. u.a. von vornherein
einen sozialwissenschaftlich offenen Begriff vertreten. Vor dem Hintergrund des
sozialwissenschaftlichen Begriffs unterstellt R.G. G.Q., letztlich doch ein
regelrechter „Axiom-Pluralist“ zu sein. Die Frage von
R.G., ob die Nutzenfunktion ein Axiom für sie sei,
bejaht F.Q., wenn auch die Nutzenfunktion oftmals nur noch als eine
Hilfsannahme, die einfach unterstellt werde, in der Neoklassik anzutreffen sei.
An der einfachen teilweisen Widerlegung der Nutzenfunktion durch
Verhaltensexperimente und dem stillen Rückzug auf die Hilfsannahme könne man in
gewisser Weise Auflösungserscheinungen der Neoklassik erkennen.
TOP 3 – Planung
der nä. Sitzung am 03.12.2015
Für die nä. Sitzung liegt kein Thema vor, daher wird offengelassen,
ob sie stattfindet. Interessenten, die für eine Ausgestaltung sorgen wollen,
sollten sich im Vorfeld rechtzeitig melden.